27.10.2008
Kracht und scheppert begeisternd ohne Sinn und Verstand
EINLEITUNG
Wiedermal steht ein Spiel im Ladenregal, über das es viel Widersprüchliches zu lesen gibt. Tests von unabhängigen Spielezeitschriften von "noch ganz gut" bis "absolut herausragend" sind im Internet ebenso zu finden wie Vergleiche mit den Spielen GTA, Crysis und S.T.A.L.K.E.R. (wobei wohl niemand auf die Idee käme, die letztgenannten Spiele wiederum direkt miteinander zu vergleichen).
Ursprung des Ganzen ist zum einen das Resultat mancher wahrer und falscher Versprechungen der kreativen Köpfe hinter Far Cry 2, und zum anderen auch des Spiels selbst, das einem in der ersten Spielzeit durchaus etwas anderes zu sein vorgaukelt, als es dann letzlich ist. Diese Unsicherheit mit der Frage "Was für eine Art von Spiel ist das denn überhaupt?" resultiert dann in den verschiedensten Auslegungen und Bewertungen.
Um es vorweg zu nehmen: Anders als es in den Ankündigungen vermittelt wurde, handelt es sich bei Far Cry 2 definitiv nicht um ein Spiel, das in jeder Hinsicht realistisch zu sein versucht, eine tiefgründige Story erzählt, viel Tiefgang hat oder eine gewaltdurchtränkte "Afrika-Simulation" vermittelt. Eigentlich ist es ein Spiel in einer sehr alten Tradition: es zieht einen gewissen Rahmen auf, in dem bestimmte Regeln gelten und Mechaniken wirken, mit denen der Spieler hantieren kann - und das immer und immer wieder. Und so seltsam sich dies auch anhört: mit diesem Prinzip war auch schon Tetris erfolgreich, und in gewisser Weise ist Far Cry 2 dem Klötzchenspiel ähnlicher als die eingangs erwähnten Toptitel: es hat wenig Sinn, verfügt dafür aber über ein paar Spielregeln, die vor allem nur eins machen: Spaß. Zumindest wenn man es schafft, sich nicht ständig daran zu erinnern, welches Spiel man sich unter dem Titel "Far Cry 2" wegen der Versprechungen gern gewünscht hätte und die fehlenden Elemente ständig vermisst.
STORY
Wähle einen von mehreren (nur männlichen) Charakteren aus, starte das Spiel und finde den Waffenhänder "Schakal", um ihn zu erledigen. Das war's eigentlich. Die Wahl des Charakters ist nebensächlich weil ohne Folgen, das Ziel gleichermaßen direkt und zunächst unspannend. Alles weitere, was als "Story" erzählt wird, ist eigentlich vernachlässigbar. Wichtig ist nur: Sie spielen in einem vom Bürgerkrieg zerrissenen, fiktiven afrikanischen Staat, in dem zwei Fraktionen um die Vorherrschaft ringen (kurz APR und UFLL). Auch die Fraktionen sind eigentlich egal: Arbeiten Sie nur für einen oder beide - das hat keinen Einfluss. Außerhalb der Waffenstillstandszonen ist (abgesehen von wenigen Ausnahmen) ohnehin jedermann ein Feind, ganz gleich, welcher Fraktion er angehört.
2 Sterne
ABLAUF
Sobald Sie sich durch das kurze Tutorial gekämpft haben, das einem noch vermitteln möchte, eine Geschichte zu erzählen, sollte man sich sofort darauf einstellen, dass nun ein Spiel beginnt, das einfachen Regeln gehorcht. Dabei liegt die Betonung auf "Regel" und "Spielmechanik". Kleine Beispiele:
1. "Hauptmissionen" bekommt man in der zentral gelegenen Stadt, welches nicht mehr ist als eine dreidimensionale Darstellung eines Missionsauswahl-Screens. Passenderweise wohnen daher die verfeindeten Fraktionen beinahe Tür an Tür freidlich nebeneinander in der Waffenstillstandszone. Wie gesagt: Story zählt nichts. Die Belohnung für Hauptmissionen sind Diamanten.
2. Waffen vom Gegner sind Altmetall, da sie schnell Ladehemmungen haben und dann völlig ihren Dienst versagen. Möchte man neue, spielt man sie bei (auf der Karte verstreuten) Waffenhändlern durch spezielle Missionen frei, in denen man jeweils einen fahrenden Konvoi ausschalten muss. Anschließend kann man sich die Waffe (oder bestimmte Upgrades) gegen Diamanten beim Waffenhändler kaufen. In einem angrenzenden Schuppen steht die Waffe dann ständig bereit. Die Mission "Konvoi" zerstören entspricht also dem Konzept "Freispielen", das Lagerhaus dem Konzept "Ausrüstungsbildschirm".
Und so geht es eigentlich in einem fort. Lerne die Spielmechanik und wende sie zu Deinen Gunsten an, um Missionen leichter zu bestehen. Das war's. Hört sich eigentlich schlimm an, aber jetzt kommt der Knackpunkt: Hat man akzeptiert, dass Far Cry 2 50 Quadratkilometer Spielplatz präsentiert, auf dem man nach bestimmten Regeln ordentlich die Sau rauslassen darf, also ein purer Sandkasten, in dem die Entwickler dem Spieler Spielzeuge in die Hand geben, um sich nach Herzenslust auszutoben - dann erst erkennt man den Reiz des Spiels. Das Regelsystems ohne Abhängigkeit zu schick inszenierten Skripts, schlauchförmigen Levels und durchgängig erzählten Geschichten hat eine einfache Folge: Der Spieler ist frei. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Oft habe ich mich bei Assassin's Creed darüber geärgert, dass die Hauptgegner in einer speziellen - pseudo-interaktiven - Zwischensequenz eingeführt werden. Warum? In der Sequenz hätte ich gern diverse Male eingegriffen, durfte es aber nicht. Oft hätte ich mich gern von einer bestimmten Richtung dem Geschehen genähert, durfte ich aber nicht, sonst hätte die Sequenz nicht gestartet und der Gegner wäre gar nicht erschienen. Positive Folge: Der Schurke wurde dramaturgisch eingeführt. Negative Folge: Das Spiel untersagt mir in diesem Moment Freiheit.
Im Anschleichen an das Ziel und die danach je nach Spielweise mehr oder weniger wilden Ballereien von Far Cry 2 ist man von solchen Beschränkungen verschont. Braust man unter heftigem Beschuss mit einem Jeep direkt an das zu zerstörende Ziel, springt unter Kugelregen kurz vor der Kollision heraus und bringt alles mit einem gezielten Schuss aus einer Panzer-Abwehrrakete zur Explosion? Schleicht man sich des Nachts unentdeckt heran und sprengt mit einer einzigen Granate? Schaltet man aus der Ferne als unsichtbarer Jäger alle Wachen mit einem Scharfschützengewehr aus? Legt man auf der Westseite des Lagers mit ein paar Molotov-Cocktails einen Großbrand und nutzt die folgende Verwirrung, um sich zum Ziel zu mogeln? Zwar geht es immer nur um den Kampf, aber diesen stellt Far Cry 2 grandios dar und lässt viel Raum für Experimente. Ich habe lange kein Spiel mehr erlebt, in dem man vorab das Ziel von einer Anhöhe beobachtet, die Landschaft ausspäht, einen Plan erarbeitet, diesen dann durchführt - und natürlich kommt etwas dazwischen. In wilder Panik beginnt der Spieler zu Improvisieren, herumstehende Fahrzeuge als vorab platzierte Bomben durch Sprengung oder durch Einsteigen zur Flucht zu nutzen, Bäume als ideale Verteiler von Chaos stiftenden Großbränden zu missbrauchen - oder im schlimmsten Fall seinen eigenen fahrbaren Untersatz als mobile Deckung zu nutzen, um sich eiligst eine Wunde zu versorgen, die gerade dabei ist, das letzte bisschen Lebensenergie aus einem herauszusaugen. Und so brennt, schießt, ballert, rast und wütet der Spieler in einem fort durch die Welt von Far Cry 2 und zündet ein actiongeladenes Feuerwerk, bei dem so manche geskriptete Zwischensequenz vor Neid erblasst. Dabei verhält sich die KI der Gegner (zumindest nach meiner Erfahrung) insgesamt sehr gut. Es war zu lesen, dass die Gegner durch Ihre ständigen Aussetzer wie Röntgenaugen (sehen den Spieler durch Hindernisse hindurch), pures Ignorieren des Spielers oder sonstiges nicht nachvollziehbares Verhalten erheblich nerven. Fakt ist: Erledigt man (wenn auch leise) eine Person in der Waffenstillstandszone, sind alle in dem Gebiet sofort Feinde. Mag unlogisch sein, ist aber Resultat der simplen Mechanik. Tut man das selbe in Feindesgebiet, dann greift nur die KI und nicht der Schalter "Spieler hat etwas böses getan" und somit bekommen nur die Gegner etwas mit, die etwas gesehen oder gehört haben. Fakt ist auch, dass die Gegner durch Objekte hindurchsehen können, durch die man auch gehen kann (hohes Gras, Gebüsch). Das ist ärgerlich, aber ich bin froh, wenn mir ein Spieler einen Tipp geben kann, in welchem 3D-Shooter das nicht so ist. In Far Cry 1 war es jedenfalls genauso. Hinter Felsen oder Wänden ist man wirklich nicht zu sehen und die Gegner nehmen klar und deutlich an deren Rufen hörbar die Suche auf. Aussetzer, dass mich Gegner ignorieren, habe ich nie erlebt. Stattdessen gehen die Gegner ähnlich vor, wie man es aus Far Cry 1 kennt (auch wenn ein anderes Entwicklerstudio dahinter stand): Einzelne Gegner zwingen den Spieler mit Dauerbeschuss in Deckung, die anderen beginnen, den Spieler zu flankieren. Vereinzelt werfen sie Granaten, um den Spieler aus der Deckung zu locken, und zu guter Letzt bricht unter den Feinden heilloses Chaos aus, wenn die Umgebung plötzlich Feuer fängt. Alles in allem empfinde ich die computergesteuerten Gegner als clever genug, um abwechslungsreiche Gefechte zu garantieren.
4 Sterne
PRÄSENTATION
Grafik und Soundkulisse sind atemberaubend. Selten zuvor wurde die vorhandene Performance eingesetzt, um eine so stimmige und in sich geschlossene Darstellung eine Ortes auf den Bildschirm zu zaubern. Am Abend blitzt zwischen den Ästen des dichten Dschungels in blendenden Strahlen die goldene Sonne hindurch, Zirpen drängt betäubend ans Ohr, unter den Füßen raschelt bei jedem Schritt das dichte, trockene Gras. Die Äste wiegen sich im leichten Wind, ein großes Farnblatt wird zur Seite geschoben, während man geduckt die vor sich liegende Straße beobachtet. Die Ruhe vor dem Sturm ist überwältigend, die Spannung so packend und die Präsentation so glaubwürdig, dass man den Schweiß von der klebrigen Hitze auf seiner Stirn zu spüren scheint. Nachts schieben sich zerfaserte Wolken vor einem gradiosen Mond, tritt man Mittags aus einem Gebäude, blendet das grelle Licht in der ersten Sekunde so stark, dass man kaum etwas erkennt. Die Morgensonne lässt die feinen Spuren in den Dünen so realistisch heraustreten, dass man den Sand unter seinen Füßen spüren möchte. Geht das Feuerwerk los, zaubert Far Cry 2 nichts weniger als die beeindruckendste Darstellung von sich selbst fortpflanzendem Feuer auf den Bildschirm, die es je in der Geschichte von Computerspielen gegeben hat. Das akustische Krachen der Explosionen oder meditative Rascheln des sich im Wind wiegenden Grases tut dabei sein übriges, um einen völlig vergessen zu lassen, in der ruhigen Sicherheit des eigenen Wohnzimmers zu sitzen.
5 Sterne
FAZIT
Far Cry 2 ist ein seltsames Spiel. Wollen Sie sich von einer Geschichte gefangen nehmen lassen, einen Helden mit Gesicht spielen (oder überhaupt einen Helden), oder in einer Welt gefangen sein, in der alles irgendwie miteinander verzahnt ist und Sinn ergibt? Wenn ja, dann Finger weg von diesem Spiel. Es geht hier nur um eines: Durch beeindruckende Technik eine atemberaubende Atmosphäre zu erzeugen, die dabei helfen soll, sich in denjenigen hineinzuversetzen, der gerade in die Schlacht zieht. Die notwendigen Rahmenmechaniken helfen dabei, ein Grundgerüst zu schaffen, in denen (austauschbare) Missionen angesiedelt sind und in dem Sie frei agieren können. Wenn es Ihnen reicht, die fünf Minuten Ruhe vor dem Sturm einzuatmen, die Anspannung zu genießen, in diesem Moment auch keine Hektik verspüren (ein Ziel muss ja auch erst einmal zu Fuß oder per Fahrzeug erreicht werden), um dann still und heimlich als unsichtbarer Schatten ein Ziel zu erfüllen oder zwischen gewaltigen Explosionen einen atemberaubenden Adrenalinschub zu erleben, dann ist Far Cry 2 zur Zeit das Spiel der Wahl. Was zu tun ist, ist weder moralisch, noch ergibt es tieferen Sinn, aber befriedigt jeden, der schon Spaß damit hatte, selbstgebaute Holzklotzburgen nach erledigter Arbeit auch wieder einzureißen.
Far Cry 2 hätte viel mehr werden können - aber es ist es nicht. Es nutzt all seine Fähigekeiten, um ein beeindruckendes und unglaublich dynamisches Geballere mit ähnlich wie in Far Cry 1 agierenden Gegner auszufechten und dabei einen Heidenspaß zu haben. Das ist sicherlich nicht das höchste Ziel eines Mediums, das nun in den Rang des Kulturguts erhoben wurde und gehört keinesfalls in Kinderhänder. Aber - das gebe ich freimütig zu - es hat mich stundenlang blendend unterhalten.