09.12.2006
Rundenstrategie-Festmahl
„Advance Wars“ von Nintendo aus dem Jahr 2001: eines der herausragendsten Module für den Gameboy Advance überhaupt. Kein Zweifel, was uns hier für ein Rundenstrategiespiel im Anime-Stil auf Nintendos 32-Bit-Handheld präsentiert wird, gehört zum Edelsten, was ich bislang auf diesem Sektor erblicken durfte. Hier stimmt nahezu alles, bis auf Kleinigkeiten, die erst nach längerer Zeit deutlich werden, spielt sich dieses Modul wie aus einem Guss und es ist wahrlich nicht übertrieben, wenn man von einem ungemein hohen Suchtpotential spricht, welcher diesem Game innewohnt. Nicht zuletzt der extrem hohe Wiederspielwert (zumindest für Genreinteressierte) sorgt dafür, dass dieser GBA-Titel jeden einzelnen Cent wert ist.
Wer einen ersten zaghaften Blick auf dieses GBA-Modul wirft, mag zunächst gar nicht glauben, dass es sich bei „Advance Wars“ um ein hochklassiges und vor allem sehr anspruchsvolles Strategiespiel handelt. Denn die Fassade ist gewaltig auf Niedlichkeit getrimmt, Anime-Liebhaber oder solche eines knuddligen Comic-Stils kommen hier voll auf ihre Kosten. Ein großer Pluspunkt wird gleich zu Beginn des Spiels mehr als deutlich, denn ganz gleich, ob Ihr Profi, Fortgeschrittener, Gelegenheitszocker oder Neuling auf diesem Terrain seid: es spielt praktisch keine Rolle. Sehr ausführlich und vor allem sehr anschaulich werdet Ihr Schritt für Schritt in die Materie eingeführt, trotz der mit zunehmender Spieldauer immer mehr zunehmenden Komplexität seid Ihr immer voll auf dem Laufenden. Manch einem mag das vorsichtige Heranführen an die einzelnen Funktionen der Einheiten und taktischen Überlegungen in der Tutorialkampagne schon fast zuviel des Guten sein, so sehr wird jeder einzelne Schritt im Detail erläutert. Objektiv gesehen handelt es sich um einen Trainingsmodus der Extraklasse, der nicht nur außerordentlich informativ ist, sondern auch über alle Maßen interessant präsentiert wird und vermuten lässt, was für ein spannendes Strategieabenteuer uns hier erwartet.
Begleitet werden sowohl der Tutorialmodus als auch die späteren Schlachten und Endbewertungen von zahlreichen Dialogen, welche die Anime-Protagonisten miteinander führen. Dies fördert den Grad der Identifikation mit Storyline und auch den unterschiedlichen Charakteren ungemein und sorgt praktisch vom Start weg für eine erstaunlich dichte Spielatmosphäre. Schon schnell wird deutlich, wie vielseitig dieses Spiel ist und welchen spielerischen Freiraum wir hier genießen dürfen. Nachdem wir die Bekanntschaft mit der jungen Blondine Nell gemacht haben, welche uns durch den umfangreichen Trainingsmodus inklusiver einiger Einzelmissionen führt und auch später sehr oft mit Ratschlägen zur Seite steht, wird es richtig ernst: wir begeben uns auf das Schlachtfeld, welches quasi eine Geländekarte darstellt, die in viele Quadrate unterteilt ist und auf der wir unsere Einheiten entsprechend verschieben können. Das Gelände ist natürlich nicht immer das gleiche, demzufolge wir in Waldgebieten, auf hügeligem Gelände, an Küstengebieten oder auch an Hafengebieten unser Unwesen treiben, nicht selten streifen wir dabei Stadtgebiete, ausgedehnte Industriegebiete oder auch Flughäfen. Dabei variiert auch die Art der verfügbaren Einheiten, sowohl Bodentruppen als auch Marine und Luftwaffe kommen zum Einsatz. Da es sich nicht um ein Echtzeitstrategiespiel handelt, kommt zu keinem Zeitpunkt Hektik auf, was ich angesichts des doch vergleichsweise kleinen Displays und der engen Tastenbelegung auf dem Gameboy Advance auch sehr begrüße, nacheinander bewegt Ihr Eure Truppen und dann der Feind oder auch umgekehrt. Langweilig wird es jedenfalls nie, ganz im Gegenteil, dafür sorgt ein gewaltig hohes Maß an Abwechslung und nicht zuletzt die zahlreichen unterschiedlichen Möglichkeiten, welche sich Euch in der Schlacht bieten.
Sind wir am Zug, so liegt es an uns, möglichst sinnvolle Kommandos zu geben bzw. an die entsprechenden Einheiten kluge Befehle zu erteilen. Ob Panzer, Flugabwehr, Geschütztürme, Bodentruppen, Raketenwerfer, Kriegsschiffe, Kampfhubschrauber, Bomber, Düsenjäger oder U-Boot: einzig und allein an Euch liegt es, die Einheiten (dem Schachspiel nicht ganz unähnlich) zu positionieren. Die einzelnen Einheiten verfügen über eine unterschiedliche Reichweite, Durchschlagskraft und Mobilität, versteht sich, und manche Einheiten sind nur für bestimmte Dinge zu gebrauchen: Düsenjäger können zum Beispiel keine Bodentruppen des Feindes attackieren und U-Boote keine Kreuzer attackieren. Das jeweilige Schlachtfeld ist regelmäßig genauestens zu inspizieren: analysiert die Begebenheiten des Geländes, die Reichweite gegnerischer Truppen, Eure eigene Verteidigungsstärke bzw. die Anordnung Eurer Defensiveinheiten und vor allem: greift niemals überstürzt an, denn in der Regel werdet Ihr dafür gnadenlos abgestraft. Das Resultat Eures Zuges wird spätestens dann sichtbar, wenn der CPU an die Reihe kommt: dessen Truppen agieren zwar nicht immer auf geniale Art und Weise, doch ziemlich oft werdet Ihr Euer blaues Wunder erleben und besonders im späteren Verlauf des Spiels aller Voraussicht nach nicht gerade selten die gesamte Kampagne neu starten müssen, schätze ich.
Damit bin ich auch beim einzigen unübersehbaren Negativpunkt: oft existiert auf dem Schlachtfeld dichter Nebel, was grundsätzlich bedeutet, dass Ihr einen Großteil des Geländes (noch) nicht einsehen könnt. Fast immer ist der CPU dadurch im Vorteil, wenn praktisch aus dem Nichts seine Truppen auftauchen und uns attackieren. Im umgekehrten Falle würden wir meistens hart bestraft, wagten wir uns in unsichtbares Terrain, die Folge wäre oft, dass kurz darauf sich mehrere Einheiten auf unsere „tapfere“ Einheit stürzen und diese letztlich vernichten würden. Ich halte dies für unausgewogen und auf lange Sicht hin ärgerlich, denn nicht gerade selten muss so eine Mission von vorne begonnen werden, die schätzungsweise schon zehn oder fünfzehn Minuten andauerte. Dies artet oft in eine Art „Try-and-Error“ aus, was zur Folge hat, dass wir erst dann (nach dem Misserfolg) wissen, wo spezielle Gefahren auf uns lauern und das kann eigentlich nicht Sinn der Sache sein. Nein, ganz sicher nicht.
Doch nun schnell wieder zurück zu den zahlreichen positiven Gesichtspunkten. Dass die unzählig vorhandenen Missionen bzw. Kampagnen niemals langweilig werden, liegt des Weiteren daran, dass nicht nur durch Geländeart und verfügbaren Truppen ordentlich Abwechslung hineingebracht wird, sondern auch durch die einzelnen Gebäudekomplexe. An diesen orientiert sich dann unser Missionsziel, gilt es doch schließlich, eine vorgegebene Mindestanzahl an Städten vom Feind zu erobern. Jede „frisch“ eroberte Stadt sorgt zudem für mehr Geldeingang, welches wir dringend für die Produktion neuer Einheiten, sprich den Nachschub benötigen. Im weiteren Verlauf des Spiels kontrolliert Ihr bis zu drei unterschiedliche Produktionsstätten: Fabrik, Flughafen und Wert, so dass Ihr nicht selten die Qual der Wahl habt: die taktischen Möglichkeiten sind jedenfalls sehr vielfältig. Oft lässt sich so noch in letzter Minute eine schon verloren geglaubte Schlacht drehen, wenn zum Beispiel in letzter Minute Panzer in die Schlacht geworfen werden können, um die aggressiven feindliche Bodentruppen zu überfahren oder auch in Grund und Boden zu schießen. Besonders besorgt sein müssen wir aber in erster Linie um unser HQ, also unsere Hauptbasis: diese darf auf keinen Fall vom Feind besetzt werden, ansonsten erscheint das ungeliebte „Game Over“. Andererseits kann uns ein überraschender Sieg gelingen, sollten wir jenes erfolgreich angreifen, was oft den letzten Ausweg in einer nahezu hoffnungslos aussehenden Lage bildet.
Vor dem Starten einer neuen Mission entscheidet Ihr Euch für einen Charakter im Hinblick auf seine Funktion als Oberbefehlshaber. Die unterschiedlichen Spielfiguren verfügen nicht nur über eine individuelle Aura, welche sehr schnell durch mehr oder weniger markige Sprüche erkennbar wird, sondern auch über ureigene Spezialfähigkeiten, welche sich ab und an einsetzen lassen. Und dies natürlich auf möglichst schlaue Art und Weise. Dies im Detail zu erläutern würde jetzt zu weit führen, auf jeden Fall hat jede Hauptfigur derartige Talente, die uns im Einzelfall (eine spezielle Leiste muss dafür allerdings im Kampf vollständig gefüllt sein) einen kleinen Vorteil verschaffen: entweder sind unsere Truppen dann besonders schnell unterwegs, werden zu einem gewissen Prozentsatz repariert oder verfügen zum Beispiel über eine wesentlich höhere Durchschlagskraft. Auch hier haben wir wieder einmal die Qual der Wahl, was erneut für einen angenehm großen spielerischen Freiraum spricht. Mehrere Wege führen somit zum Ziel, wobei allerdings nicht vergessen werden darf, dass auch der Computergegner über solche Talente verfügt. Der Schwierigkeitsgrad dürfte nicht zuletzt aufgrund des schon erwähnten genialen Trainingsmodus eine relativ große Zielgruppe anlocken, trotzdem dürften sich gerade Neulinge oder Gelegenheitszocker sehr schnell eine „blutige Nase“ abholen. Einfach zu bewältigen ist „Advance Wars“ sicher nicht und eine gehörige Portion an Geduld und Ausdauer sind zwingend vonnöten, doch für Eure Mühen werdet Ihr letztlich belohnt, denn der Spielspaß bleibt konstant sehr weit oben.
Enorm motivierend ist aber schließlich noch etwas ganz Anderes, nämlich das vorhandene Bewertungssystem. Der nicht zu unterschätzende Suchtfaktor (oder auch Eroberungsdrang) basiert nicht zuletzt auf diesem und lässt so manches Frusterlebnis auch nach mehrmaligem Neustart einer fehlgeschlagenen Kampagne nahezu vergessen: nach Abschluss einer Mission erfolgt eine Bewertung unserer Leistung, die sich dann im Ertrag an Geldmünzen widerspiegelt. Dabei zählt der selbst erlittene Schaden, natürlich auch der dem Feind zugefügte und nicht zuletzt die Geschwindigkeit, mit der Ihr die Schlacht erfolgreich bewältigen konntet. Zudem werden weitere Karten sowohl für Einzel- als auch Mehrspielermodus freigeschaltet, was der Langzeitmotivation auch nicht gerade abträglich sein dürfte. Schließlich haben engagierte Hobby-Strategen stets den Highscore und den Ranglistenplatz fest im Visier. Da die Hauptkampagne sich zudem mehrmals im Laufe des Spiels verzweigt, lohnt sich auch – zumindest für echte Rundenstrategiefreaks – ein mehrmaliges Durchspielen. Und dies auch noch (oder gerade) nach mehreren Jahren Pause.
Wie eben zu lesen war, existiert glücklicherweise auch ein Mehrspielermodus, der einfach großartig ist. Vorausgesetzt, dass Ihr über bis zu vier Gameboys, vier Module und entsprechende Verbindungskabel verfügt, steht einem monatelangen Spielspaß nichts im Wege. Der Clou ist hierbei, dass Euch auch das Spielen zu viert mit nur einem Gameboy und nur einem Modul möglich ist, der Gameboy wird dann nach jedem Zug einfach nur weitergereicht. Der (zu erwartende) Nachteil ist dann aber, dass nur eine einzige Karte bzw. immer nur dasselbe Schlachtfeld „zum Austoben“ zur Verfügung steht, aber das ist ja immer noch besser als nichts, schätze ich. Wem das trotz des gewaltigen Umfangs und zweifelsohne vorhandenen Suchtfaktors immer noch nicht reicht, der darf sich an der Editor-Funktion vergnügen: hier dürfen wir unsere eigenen Geländekarten bzw. Schlachtfelder zusammenbasteln und sogar drei von ihnen auf der Memory Card abspeichern, das hat was, gar keine Frage. Darüber hinaus ist es möglich, exakt diese eigens kreierten Schlachtfelder einem Gleichgesinnten via Dialogkabel zu schicken, damit dieser Eure Genialität bestaunen kann. Verständigungsprobleme gibt es im Übrigen nicht, denn erfreulicherweise haben wir es bei „Advance Wars“ für den Gameboy Advance mit einer lupenreinen Pal-Umsetzung zu tun, welche vorzüglich ins Deutsche übersetzt wurde. Eine Tatsache, die nicht zuletzt im Hinblick auf den umfangreichen Trainingsmodus und zahlreichen (teils witzigen) Dialoge von erheblicher Bedeutung ist.
Zum Glück gibt sich auch die Präsentation von „Advance Wars“ keine besondere Blöße: wenn uns auch in diesem Punkt nichts Überragendes geboten wird und vieles im Hinblick auf den Anime-Stil sicherlich Geschmackssache sein wird, so kann diese im Großen und Ganzen leicht und locker überzeugen. Knallig bunte Farben, soweit das Auge reicht, niedliche Anime-Charaktere, eine sehr gutes Leveldesign und eine nahezu perfekte Übersichtlichkeit sorgen für einen positiven Gesamteindruck, zumal keine Grafikpatzer (Ruckler, Slowdowns, Kantenflimmern etc.) ersichtlich sind. Zugeben muss ich natürlich auch, dass die Hardware des GBA aufgrund der doch eher simplen Optik nicht sonderlich gefordert wird, aufsehenerregende Spezialeffekte, Animationen oder Filmsequenzen gibt es nicht. Dies tut dem Flair aber überhaupt keinen Abbruch, dem Charme dieses Moduls wird sich eine Vielzahl von uns schon nach sehr kurzer Spielzeit nicht mehr entziehen können, schätze ich. Nur Anime-Hasser oder solche, die mit Games im Comic-Stil nicht allzu viel anfangen können, wenden sich von diesem Vorzeige-Modul ab, ebenso natürlich diejenigen unter uns, die rundenbasierten Strategiespielen wenig abgewinnen können, versteht sich. Da auch die Soundkulisse völlig in Ordnung geht, sowohl Hintergrundmelodien als auch Soundeffekte die Atmosphäre gut unterstützen (ohne allerdings über alle Maßen begeistern zu können), bleibt auch in dieser Hinsicht nichts wirklich Negatives zu erwähnen übrig. Zwar ist die gesamte Präsentation nicht das Prunkstück dieses GBA-Titels – dies ist allerdings zweifellos das bombastisch gute Gameplay – doch enttäuschen tut diese keineswegs. Ich jedenfalls war von Anfang an sehr angetan von diesem Strategie-Hit und fühlte mich von Beginn an pudelwohl. Und das ist doch die Hauptsache, schätze ich.
„Advance Wars“ macht definitiv süchtig. Wer rundenbasierten Strategiespielen etwas abgewinnen kann, ist bei diesem GBA-Titel goldrichtig. Eine dichte Spielatmosphäre, eine hohe Identifikation mit Protagonisten und Story, eine ausgezeichnete Steuerung und ein überaus gelungenes Tutorial, ein knallig buntes Level Design, ein gewaltig großer Spielumfang und ein motivierendes Gameplay – sowohl im Einzel- als auch Mehrspielermodus - mit immensem Suchtfaktor sorgen für ein erstklassiges Spielerlebnis. Im Grunde seid Ihr nach wenigen Stunden selbst darüber überrascht, wie sehr Euch das grundsätzlich vielschichtige Spielprinzip in Fleisch und Blut übergegangen ist, nicht zuletzt der hohe Anspruch stellt auch erfahrene Strategen zufrieden und sorgt für eine monatelange Motivation. Da dieser extrem fesselnde GBA-Titel auch noch nach Jahren zum erneuten Durchspielen reizt, katapultiert sich der Spielspaß meiner bescheidenen Ansicht nach in schwindelerregende Höhen. Eine Spielspaßwertung in Höhe von überragenden 87% erscheint mir in diesem Fall absolut berechtigt.
PLUS ---> Geniales Spielprinzip, tolle Trainingskampagne erleichtert Einstieg, liebevoll präsentiert, vielschichtig, abwechslungsreich, unterhaltsam, anspruchsvoll, extrem umfangreich, guter Mehrspielermodus, ausgezeichnete Steuerung, enorme Langzeitmotivation
MINUS ---> Nicht selten passiert Unvorhergesehenes, was ohne eigenes Verschulden zu starken Benachteiligungen führt und manch einen Neustart einer Mission erforderlich macht, knallig buntes Design im Anime-Look nicht jedermanns Sache